Relation (1975-78)
von Fete Eilers

18. Dez. 76 Gymnasium1975 lag der Rock'n Roll in den letzten Zügen. Seine Kinder haben ihn nicht gefressen, sie haben ihn kommerzialisiert, industrialisiert und akademisiert. 1975 war das Jahr, in dem wir Relation gründeten.

Es war die Zeit von Roxy Music, David Bowie, Genesis, Yes und Supertramp. Unsere Idole waren androgyne Wesen, die sich grellbunt schminkten, rote Haare hatten und Fummel mit Federn und Pailletten trugen. Wir dagegen kleideten uns in braune Wildlederboots, Jeans und Parkas - am besten vom American Stock - mit einer Bürste in der Brusttasche. Das trugen wir damals alle - ohne Ausnahme. Ich hatte auch eine Bürste und damals brauchte ich sie auch noch, denn die lange Mähne war die einzige Extravaganz, zu der unser Mut reichte.

Musikalisch pendelten wir zwischen Slade und Yes, bis Jürgen kam und uns den Weg wies. Jürgen Lange - genau der Jürgen Lange - war cool. Seine Kumpels waren in der elften Klasse wegen Blödheit und Faulheit backen geblieben - und der Umstand, dass es bei einigen dieser Luschen am Ende sogar bis zum Medizinmann gereicht hat, sollte vielen der heute besorgten Eltern als Quell der Hoffnung dienen.

Jürgen dagegen wollte die Klasse wiederholen. Er hatte eine Mission! Er wollte uns, die wir dahintrieben, auf den rechten Kurs führen. Uns erlösen von Pink Floyd, die - O-Ton Jürgen: "ihren Studio-Scheiß sowieso live nicht reproduzieren" konnten. Jürgen kann damals nicht älter als siebzehn Jahre alt gewesen sein, aber er nannte sich "Daddy des Nordenhamer Blues". Der Blues - das war Jürgens Botschaft - führte ins Licht, und wir folgten ihm.

Wir trafen uns im Salon Eger und jammten. Eine Stunde Blues in C, eine Stunde Blues in A, eine Stunde Blues in E. Als wir vom Blues und Booze besoffen waren, gründeten wir Relation.

Gründungsmitglieder der Band waren:

Hartmut Buck Gitarre
Carsten "Hugo" Eger Drums
Fete Eilers Gitarre, Lead Vocals
Jürgen Lange Gitarre
Tommy Marèchal Bass

Außerdem glaube ich mich erinnern zu können, dass auch "DAF" Deharde bei den ersten Proben dabei war. "DAF" verdankte seinen Namen seinem Auto. Eine, von einem niederländischen Hersteller aus Presspappe gefertigte, kühne Studie dessen, was wir heute als Smart auf den Straßen beobachten dürfen. Sein "DAF" hatte eine sogenannte Variomatik-Schaltung. Das bedeutete zwei Gänge, ein Vorwärts- und ein Rückwärtsgang. Man konnte mit dem Auto rückwärts genauso schnell waren, wie vorwärts, was "DAF" uns des Häufigeren spätabends auf dem Marktplatz in Nordenham beweisen konnte. "DAF" war auf jeden Fall aber nur sehr kurz dabei. Aber sein Auto war es wert, kurz abzuschweifen.

Bis auf Hartmut Buck waren wir alle kleine arrogante spätpubertierende Gymnasiasten-Arschlöcher. Hartmut repräsentierte als Fliesenleger die Arbeiterklasse. Er war der einzige, der schon Kohle verdiente und - von "DAF" abgesehen - einen Führerschein hatte. Bei Auftritten konnten wir die Anlage mit einem VW-Bus von Fliesen Steppat transportieren.

Jürgens Mission war nach den ersten Proben erfüllt, er hatte uns auf den Weg gebracht. Wir verrieten seine Ideale, kaum dass er die Band verlassen hatte und engagierten zwei Sängerinnen.

Petra Franziskowski und Andrea Albers verfügten über ebenso viel sängerisches Talent wie ich. Sie waren aber zweifellos die schärfsten Bräute in der Stadt: Blond, braungebrannt, ausgewaschene Jeansanzüge mit hochgeschlagenem Kragen.

Unser erster Gig war Rock'n Roll in Reinkultur. Wir traten in der Pausenhalle des Gymnasiums mit drei Bands auf. Ich spielte in allen dreien. Relation, dann ein aus Jochen Laarmann, Holger Trentepohl und mir bestehendes Trio. Einer unserer instrumentalen Titel hieß "Explosion im Ententeich" und dann haben wir noch irgendwie alle zusammen gespielt. Das Publikum war an dem Tag sehr euphorisch. Das hing weniger mit unserer Musik als mit dem Umstand zusammen, dass zwei wirklich respektable Schläger inzwischen zu unserem festen Fankreis gehörten. Sie hatten das Publikum fest im Blick und erstickten jeden Ansatz unnötiger Kritik bereits im Keim. Während des ersten Sets habe ich hinter den Boxen mit Jochens Ex-Freundin `rumgeknutscht. Sie war so etwas wie seine Muse. Er hatte eine Band nach ihr benannt: P2 . Jochen meinte, die Rumknutscherei während eines Gigs sei disziplinlos. In Wirklichkeit war er natürlich eifersüchtig. Er hat sich dann so besoffen, dass er bei unserem Trio-Auftritt hinter seiner Orgel zusammengebrochen ist. Plötzlich sahen wir nur noch seine Hände, die irgendwie auf der Tastatur lagen. Trente hat schnell das damals obligatorische Drum-Solo eingebaut. Er hat alles gegeben und ist mit dem Schlagzeug auf dem Fliesenboden der Pausenhalle mit etwa zwei Metern pro Minute ins Publikum `reingerutscht.

Unseren zweiten Auftritt hatten wir im Vereinsheim des Ruderclubs in Nordenham. Wir spielten "Let it be" und "Why don't we do it in the road" von den "Beatles", "Jumping Jack Flash" und "Love in vain" von den "Stones". Meine Lieblings-LP war damals "Get yer ya ya's out", die "Rolling Stones" live. "Proud Mary", und ich glaube wir schreckten sogar vor "House of the rising sun" nicht zurück. Ach ja, und einen Blues in C, einen Blues in A, einen Blues in E. Der Rock'n Roll mochte in den letzten Zügen liegen, wir waren gekommen um ihn zu retten.

Den großen Durchbruch erlebten wir dann bei unserem zweiten Auftritt, diesmal im Abbehauser Stern, wo Harald Sommer am Wochenende in regelmäßigen Abständen eine Disco veranstaltete.

Heutzutage ist "Disco" in Synonym für schnulzigen Pseudofunk oder noch schlimmeren musikalischen Schund, man denke nur an "Scooter". Unter "Disco" stellt man sich jetzt gelackte Typen vor, die latent homophil ihre durchtrainierten Ärsche kreisen lassen. Das haben wir John Travolta und den "Bee Gees" zu verdanken. Aber Ihr müsst wissen, dass vor "Saturday Night Fever" in norddeutschen Dissen schwer abgerockt wurde. Egal, ob im "Apollo", im "Whisky", im "Tiffany" oder im "AC": Anstelle der zitierten Ärsche kreisten langbemähnte Headbanger-Schädel zu den ekstatischen Klängen von Black Sabbaths "Paranoid". Am geilsten war es auf den Land-Discos. Donnerstags war "Meeting" im katholischen Jugendheim und am Wochenende ging die Post bei "Minßen" in Phiesewarden, bei "Best of 73" im Preussag-Kasino oder in Tossens ab. Schlägereien waren dort an der Tagesordnung. Fast selbstverständlich spielten bei diesen Veranstaltungen auch Bands. Im Preussag-Kasino war regelmäßig "Fly" zu hören, die Band vom späteren "Una-Banda" Sänger Jürgen Schimmelpfennig. "Fly" war ein Trio. Orgel, Bass, Drums. Sie spielten eigene Songs und coverten Titel von "Deep Purple". "Child in Time" war eine ihrer Glanznummern.

Na ja, und Harald Sommer engagierte eben uns.

"RELATION" ließ das Haus erzittern
Das Haus erbebte in seinen Grundfesten, als die Nordenhamer Gruppe "Relation" am Sonnabend im "Abbehauser Hof" auftrat. Der brechendvolle Saal dröhnte und die "Fans" verrenkten sich die Glieder. Wenn es nach dem produzierten Lärm geht, dann war das absolute Spitze. Kenner dieser Art Musik bescheinigten der Akteuren an Instrumenten und Mikrophonen jedoch auch weitere künstlerische Fähigkeiten, die über die per Phonmessung ermittelten Werte weit hinausgehen. Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass die Neulinge ohne einen Pfennig "Gage" auftraten und bis in den späten Abend hinein wirkten."

Und in der Tat, man sieht unsere "Fans" auf einem Foto tanzen, wobei man den Begriff "tanzen" näher erläutern muss:

Die Füße wurden in Schulterbreite auf dem Boden verwurzelt. Der Oberkörper leicht vorgebeugt und mit den Händen auf den Oberschenkeln leicht abgestützt. Der Kopf wurde in dieser Haltung links und rechts drehend hin- und hergeschleudert, so dass die langen Haare in kreisen gerieten. In besonderer Ekstase begann der gesamte Rumpf zu rotieren. Extreme Typen bevorzugten die "Puppenkisten-Variante", bei der man alle Gliedmaßen völlig unkoordiniert und arhythmisch in bizarren Verrenkungen von sich schüttelte. Veteranen dieser Kategorie kann man auch heutzutage noch bei Konzerten der alten Recken beobachten. Ihr erkennt sie meistens am lila Halstuch oder dem Palästinenserfeudel zur eng sitzenden Lederhose und am aromatischen Geruch ihrer selbstgedrehten Zigarette. Es ist rührend mit anzusehen, wie sie auch heute noch raumgreifend die morschen Knochen und das gelichtete Silberhaar schütteln.

Ein weiteres Schulfest am Gymnasium markierte alsbald einen denkwürdigen Höhepunkt in der Bandhistorie. Ort des Geschehens war die neue proppenvolle Pausenhalle. Wir hatten uns in der gemauerten Sitzecke am Übergang zur alten Pausenhalle aufgebaut. Unserer Zeit weit voraus und der schnöden Kommerzialisierung den Weg bereitend trugen wir gesponserte Bühnenkleidung: T-Shirts von "Schwarzkopf" mit dem Aufdruck groß "Hair", klein "Care" - nah, von wem wohl? Vom Salon "Eger". Die diesem Umstand vorangegangene Diskussion war bereits Comedy pur. Ich weiß auch gar nicht mehr, mit welchen Argumenten Hugo uns letztlich davon überzeugt hat, diese albernen Teile zu tragen. Auf alle Fälle war die Stimmung bereits angeheizt, als wir mit unserem Gig begannen. Die Pfiffe drangen an unser Ohr, als wir gerade die ersten Takte gespielt hatten. Gellend! Schrill! Eine schmutzige, körperliche Schmerzen verursachende akustische Emission!! Und sie wurde von nur zwei Leuten verursacht: Greg Steppic und Müffi Kresien!! Nur zwei Leute, die pfiffen - unter Tausenden euphorischer Fans! Und sie pfiffen ununterbrochen!! Nach dem dritten Stück - es war "Let it be" - was nicht einer gewissen Ironie entbehrt - waren meine Nerven am Ende! Ich weiß heute, dass genau in diesem Moment mein Haarausfall begann - da half auch das "Haircare"-T-Shirt von "Schwarzkopf" nicht - ich überlege, ob ich die beiden Arschgeigen verklagen sollte. Ich hörte auf zu singen - ich war damals Lead-Sänger - schnallte die Gitarre ab und verließ wortlos vor den Augen meiner geschockten und empörten Mitmusiker und meiner Fans die Bühne. "Elvis just has left the building!"

Unsere Bandbegleiter versuchten im Übrigen ebenso selbstverständlich wie vergeblich die Angelegenheit mit Greg und Müffi zu diskutieren, die beiden hatten sich rechtzeitig nach meinem Abgang ins Exil begeben. Ersatzweise hat dann im späteren Verlauf des Abends Rico Oetting Prügel bezogen, welche Gründe auch immer den Ausschlag dafür gegeben haben.

Der Auftritt hatte eine Zäsur in der Geschichte von Relation zur Folge:

Hugo's Karriere war beendet!

Die von Chici und Petra bedauerlicherweise auch.

Tommy und Thomas Böneker gründeten eine Band mit Müffi und Greg! Die Band hieß "Rising Rainbow", richtiger wäre "The whistling Assholes" gewesen! Ich bin nicht paranoid, aber wenn das kein abgekartetes Spiel war?! Aber so ist das eben im Showgeschäft, du kannst keinem trauen. Ich bin irgendwann scheinheilig in diese Band eingestiegen und habe ihr nach der ersten gemeinsamen Probe den Rest gegeben, was bedauerlicherweise zum Karriereende von Greg und Müffi führte. Aber es sollte kein falscher Eindruck entstehen, ich war mit beiden befreundet und während ich Müffi seit hundert Jahren nicht mehr gesehen habe, freue ich mich immer, wenn ich Greg auf einen Klönschnack treffe. Denn wie Ozzy schon wusste: Wer Musik macht ist nicht nur paranoid, sondern auch schizophren!

Die Rechte am Namen "Relation" lagen - natürlich - bei mir und so betrachteten Hartmut und ich die Krise als Chance die ausgetretenen Pfade unproduktiver Cover-Musik zu verlassen. Auf zu neuen Ufern! Mit richtigen Musikern und keinen Ersatzteilen! Sollten die doch unter kitschigem Namen ihre Nichtigkeiten für Debile pflegen. Wir würden jetzt im neuen Line-up abrocken

Hartmut Buck Bass, Lead-Vocals
Jörg Bultmann Drums
Fete Eilers Lead-Guitar, Lead-Vocals
Ralf Engel Lead-Guitar
Pulli Kasemier Rhythm-Guitar

In der ersten Zeit war auch noch Andreas Blunck dabei. Andreas hat Bass gespielt. Seine Grifftechnik war eher unkonventionell, er legt die Finger flach auf das Griffbrett. Dafür war er gut für die Optik. Er hatte langes wallendes blondes Haar. Die Frauen flogen auf Andreas, was machte es da schon, dass er tieftontechnisch eher unterbelichtet war. Andreas Karriere vollzog allerdings einen unvorhersehbaren Wandel. Er war zu einer wichtigen Probe nicht erschienen und wir trafen ihn dann im Jugendzentrum. Er könne jetzt nicht, ließ er uns wissen, er habe Töpferkursus! Er hatte damals schon die richtige Entscheidung getroffen, denn Andreas ist auch heute noch der gestaltenden Kunst verbunden. An jenem Nachmittag aber hielt sich unser Verständnis für seine Neigung in sehr engen Grenzen.

Ralf muss ich wegen seines Equipments besonders erwähnen. Er hatte einen Vox Ac 30 und eine Fender Stratocaster - sunburst, pre CBS, mit Vier-Punkt-Halsbefestigung!

Hatten wir eigentlich schon über Equipment gesprochen? Nein?

Okay. Der Miraculix des verlöteten Infernos war Jörn Eisenhauer! Der Tempel der progressiven Übertragungstechnik war sein Dachboden in der Hafenstraße. Jürgen Lange gehörte - als Mitglied von Kwalm - zum erlesenen Zirkel der damaligen amplifiing Avantgarde. Aus alten Tonbändern mit Hinterbandkontrolle entstanden dort Echogeräte! Und es gab einen Stein der Weisen: Die Siemens-Endstufe! Dem Kontakt mit Jürgen habe ich meinen ersten Verstärker zu verdanken. Ein Amp-Head aus der Edelschmiede von Jörn Eisenhauer! Er - der Verstärker - war etwa 12 cm breit, sechs Zentimeter hoch und zehn Zentimeter tief. Er verfügte über eine - angeblich von Jörn himself designte - Vorstufe mit einem per Schiebeschalter aktivierbaren Verzerrer. Die Endstufe war von Siemens. Dazu hatte ich ein Boxenkabinett auf dessen Schallwand rund 12 Breitbandlautsprecher, wie man sie aus alten Graetz-Radios kannte, montiert waren. Mal abgesehen davon, dass der Verstärker angesichts seiner bedrängten Bauteile gar nicht so schlimm brummte, klang er eigentlich clean schon ziemlich Scheiße. Mit eingeschaltetem Verzerrer hätte ich auch hartgesottenste zeitgenössische Trash-Deaf-Metal-Punker das Fürchten lehren können. Aber was sollte ich machen? Der Amp hat - glaube ich 150 Eier gekostet. Ich hatte für zweihundert Mark eine SG-Standard Kopie von Pearl gekauft. Das war damals viel Geld! Einsteigerpakete - so wie heute - gab es nicht. Es gab Gibson und Fender Gitarren oder deren mehr schlechte als rechte Kopien von japanische Firmen. Es gab den Fender Twin Reverb und Marshall Amps, daneben vielleicht noch Orange, HiWatt und Vox. Die Markengeräte kosteten damals - als du für die Kugel Eis noch 10 Pfennig bezahlt hast - genauso viel wie heute. Einige verwöhnte oder kriminelle - auf jeden Fall beneidete - Kollegen konnten sich vielleicht einen Super-City-Verstärker oder einen von Simms-Watt leisten - Marken, die heute zu Recht keine Sau mehr kennt.

Also noch einmal: Ralf hatte eine Fender Strat und einen Vox Ac 30. Er wäre damit sogar dann ein Star gewesen, wenn er Gitarre gespielt hätte, wie Tommy oder Andreas Bass!

Ich musste auch so etwas haben. Ich musste es haben! Ich musste es haben! Unbedingt! Und während die anderen am Nordenhamer Strand gebadet haben - das konnte man damals nämlich noch - habe ich in den Sommerferien als Stadtgärtner gearbeitet. Ich habe Schichten auf der Midgard gekloppt! Irgendwann war es soweit. Ich habe - soweit ich mich erinnern kann von Peppino, dem Apollo-Wirt - gebraucht, für die unglaublich hohe Summe von 500.- DM, einen Vox Ac 30 mit Chickenhead-Potis und Jensen-Speakern gekauft. Der Amp soll mal Hansi Marx gehört haben, könnte sein, denn wer sonst tauscht schon Sicherungen gegen Stanniol-Papier aus, wie ich später, als es zu spät war, feststellen musste. Der Verstärker hat mich bis zu seinem tragischen Ende überglücklich gemacht. Ich habe ihn nie vergessen und ich bin es ihm schuldig, an dieser Stelle von seinem Schicksal zu berichten. Aber dazu später mehr.

1977 bin ich bei der Polizei angefangen. Mit meinem ersten Gehalt sind wir rüber nach Bremerhaven. Zu "Quinte", ein Musikgeschäft, in dem sich alle unsere Träume in Holz, Metall und elektronischen Bauteilen manifestiert hatten. Hartmut hat sich dort einen Fender Jazzbass gekauft, Post-CBS, schwarzes Schlagbrett, Esche-Natur. Ralf holte sich seine zweite Stratocaster, Post-CBS-schwarzes Schlagbrett, Esche-Natur und - endlich war es soweit - ich erstand eine Fender Stratocaster, Post-CBS, schwarzes Schlagbrett, Esche-Natur. Pulli langte eine Fender Stratocaster, Post-CBS, weißes Schlagbrett, schwarzer Korpus - er war schließlich auch kein Lead-Gitarrist. Mein Gott, wir waren die coolste Band in Norddeutschland! In Nordenham gab es damals eine Filiale des Musikhauses Peters aus Bremerhaven. Da wir inzwischen alle über ein eigenes kleines Einkommen verfügten, haben wir uns auch noch Mikrofone und eine Gesangsanlage von Yamaha gekauft.

Unser Übungsraum war zuerst im Keller von Bullies Eltern. Danach probten wir in einem Stallgebäude in der Wisch. Dort war es so feucht, dass sich das Wasser auf den Trommelfellen sammelte. Wir standen auf Matratzen, um keinen Stromschlag zu bekommen. Das war schon sehr inspirierend. Unsere Fähigkeiten war eher mäßig ausgeprägt. Ich glaube wir waren uns dessen schon bewusst. Pulli hatte einen Guyatone Transistor Verstärker. Der war echt Scheiße. Pulli wollte immer, dass die Gitarre kreischt und schreit. Er hatte beim Spielen auch immer diesen verklärten Blick - verkniffene Augen, den Mundwinkel im sabbernden Krampf nach unten gezogen, der Körper wie in Ekstase gekrümmt, aber es half nicht, die verdammte Gitarre schrie um's Verrecken nicht. An ihm konnte es natürlich nicht liegen. Es musste der Scheißverstärker sein. Aber die Gitarre schrie auch nicht, wenn er sie über andere Verstärker malträtierte. Es lag nämlich doch an Pulli ganz alleine selbst. Er konnte noch weniger spielen als wir, was bedeutete, dass er überhaupt nicht Gitarre spielen konnte. Als wir es ihm sagten, stieg er aus.

Bulli war nicht schlecht, aber auch nicht gut. Damit war er auf dem gleichen Level wie Bucky und ich. Es langte `mal gerade und das sollte eigentlich alle ermutigen, einfach mit der Musik anzufangen. Dafür, dass wir nichts konnten, hatten wir eine Menge Spaß.

Ralf spielte ziemlich gut. Er überraschte mit einem richtig guten Ton und mit fantastischen Chorussen. Er war unser Crack. Das Problem war bloß, es war alles reine Glückssache, pure Intuition. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er da spielte. Es gibt den einen oder anderen in Nordenham, der hat das gleiche Prinzip mit nur ein wenig Theorie bis zur Meisterschaft kultiviert, aber bei Ralf war theoretisch wirklich nichts! Sei's drum, meistens ging es jedenfalls gut.

Die deutsche Rockmusik war in den siebziger Jahren damit beschäftigt, eine eigene nationale Identität zu entwickeln. Die Lords oder die Rattles waren Kopien der britischen Bands, das konnte man schon am Namen erkennen. Jetzt hießen die Bands - coole Typen sprachen in ironischer Distanz von Combos - Kraan, Kraftwerk, Wallenstein, Epithaph oder Nektar. Es war die Geburtsstunde des Krautrocks. Alles war sehr durchgeistigt. Das fanden wir total geil! Wir lagen mit Instrumentaltiteln wie "Hügeltreffen der gebrauchten Nahkampfsocken" oder "Der Gilb auf der schwarzen Weste!" voll im Trend!

Entsprechend hatten wir auch relativ viele Gigs. Wir spielten im Apollo. Am Tag des Auftritts überraschte uns Thomas Lutz damit, dass er Percussion spielen würde, er hatte sich extra Congas besorgt!

Pulli quatschte so lange auf seine ehemaligen Lehrer ein, bis wir beim Schulfest der Abbehauser Schule spielen durften.

Hartwig Koma, der später für Furore sorgte, war bereits als Fünfzehnjähriger ein bedeutender Impressario in Nordenham. Hartwig engagierte uns für die Eröffnung einer Kneipe in Abbehausen. Es sollte Freibier geben. Es war der erste Auftritt, bei dem ich erleben musste, dass mehr Leute auf der Bühne, als davor waren. Wir verarbeiteten das Freibier, die versprochene Gage blieb natürlich aus. Pulli hat dafür dann später die Mofa von Hartwig Koma konfisziert.

Irgendwann traten wir im CVJM-Heim in Kleinensiel auf. Leiter dieses Heimes für schwer erziehbare Kids war damals übrigens Robert Kohl, der spätere Kulturchef in Nordenham und Förderer wie Ausbeuter der Nordenhamer Musikszene und unzähliger Zivis!

Es gelang uns sogar, Relation über die Grenzen Nordenhams hinaus bekannt zu machen. Wir traten bei einer Disco-Veranstaltung in Neustadt auf. Neustadt liegt ein paar Kilometer jenseits von Ovelgönne. Ich wusste bis zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass es dort menschliches Leben gab!

Der Höhepunkt war unser dritter Platz beim SDAJ Festival in der Friedeburg. Erste wurden damals Euphrat mit Heiko Braunseis, Wilhelm Saemann und Michael Jacobs, Zweite Lilac Incense mit Matthias Strupowski, Volker Hofschildt, Andreas Plump und Peter Fritze.

Als es am Schönsten war hörten wir auf. Weshalb weiß ich eigentlich gar nicht mehr, wahrscheinlich, weil wir mit Tommy und seinem Bruder Renè Skylark gründeten.

Habe ich nicht noch etwas vergessen? Ach ja, was passierte mit meinem Vox Ac 30?

Als ich endlich eigene Kohle hatte, habe ich von Thomas Böneker für einen schlappen Hunni eine Vox-Orgel gekauft. Unglaublich! Unter Kennern werden diese selten gewordenen Geräte auch als "Doors-Orgeln" zu inzwischen ziemlich hohen Preisen gehandelt. Ray Manzarek spielte der Legende nach eine Vox-Orgel bei "Light my fire". Man erkennt die Vox-Orgeln daran, dass die schwarzen Tasten weiß und die weißen Tasten schwarz sind. Die Orgeln selbst sind grau und rot. Heute sind sie wieder sehr trendy und in so manchem aktuellen Video tauchen diesen Orgeln wieder auf. Ich kann kein Keyboard spielen, trotzdem hatte ich sie in meinem Zimmer an den Vox AC 30 angeschlossen. Und so kam es dass meine Mutter eines schönen Abends, als ich in der Stadt Kontakte pflegte, mein Zimmer betrat und das Equipment hochfuhr. Sie nahm an der Orgel Platz und spielte im Halbdunkel meiner Jugendzimmerbeleuchtung versonnenen die Töne ihres Lieblingsliedes: "Oh guter Mond, du gehst so stille". Irgendwann beschloss sie, dass es nun genug sei. Wahrscheinlich begann die Tagesschau. Ordnungsliebend betätigte sie den Schalter der Orgel und drehte am Vox den Wahlschalter für die Betriebsspannung auf 130 Volt! Der Schaden hätte sich in Grenzen gehalten, aber es war wie bei Apollo 13. Houston, wir haben ein Problem. Mehrere Sicherheitssysteme waren gleichzeitig ausgefallen. Zunächst hatte der benebelte Vorbesitzer des AC 30 irgendwann die Schmelzsicherungen des Netzteils gegen Stanniolpapier ausgetauscht und als nächstes versagte die sensitive Humansicherung gegen Brandgefahr. Meine Mutter, seit frühester Jugend ihres Geruchssinnes beraubt, nahm nicht wahr, dass der Amp stundenlang unter erheblicher Rauchentwicklung in meinem verschlossenen Zimmer dem Nirvana entgegenschmorte. Als mein Vater von der Spätschicht heimkommend den Brandgeruch wahrnahm, war es zu spät. Um das Desaster vollständig zu machen, vertraute ich den Amp Tommys Vater Eddie an. Eddie gehörte der Musiker- und Technikergeneration an, die Verzerrungen für akustische Verunreinigungen hielten. Eddie stellte den Tod des Innenlebens meines Vox fest und tauschte es gegen einen Transistorbausatz von Monacor aus, den er mit den Jensen-Speaker verdrahtete. Der Amp kam jetzt mit einem Poti aus! Father, i want to kill you, Mother, i want to ...............! Wie um meine eigene Dämlichkeit unter Beweis zu stellen, verkaufte ich den Leichnam für einen Appel und ein Ei an - jetzt kommts - Müffi Kresien. Ich habe mir auch noch einen dabei gefeixt. Heute würde ich unseren Hund gegen die beiden Jensen-Speaker tauschen.