Kwalm
von Jürgen Lange

Jörn Eisenhauer Per Pazurek Joachim Spöring Michael Myska Jürgen Lange

Die Gruppe Kwalm wurde gegen Ende des Jahres 1972 gegründet. Sie bestand aus Jörn Eisenhauer, Joachim Spöring, Per Pazurek (alle drei vormals Future Indicator) sowie Michael Myska und Jürgen Lange, die beide von einer Kellerband namens Tarkus kamen. Michael Myska mischte außerdem bei Rock Machine mit. Jörn Eisenhauer wechselte bei Kwalm zum Bass, Michael und ich teilten uns die Rhythmusgitarre, außerdem verfügte er über irgendein obskures Elektronen-Klavier. Ich war glaube ich auch der Sänger, aber Gesang hatte in der Truppe offensichtlich keinen hohen Stellenwert, sonst könnte ich mich besser erinnern. Allerdings wurden auch Per und Michael bei einer Konzertankündigung als Sänger aufgeführt. Die Singerei war in diesen Jahren eine undankbare Sache, es mußte eine eigene Gesangsanlage her und die Mikrofone waren bei dem allgemein hohen Lärmpegel kaum einsetzbar. Zudem genossen wir damals nur einen sehr sparsamen Englischunterricht: die Schlacht von Hastings brachte einen beim Hörverständnis von "In a gadda da vida" auch nur bedingt weiter. Kaum jemand war in der Lage, englische Texte herauszuhören. Kurzum, niemand war so richtig textfest und ich schon gar nicht.

Geübt wurde zunächst im Keller Hafenstraße 18, dann im alten Musikraum des Gymnasiums neben der alten Pausenhalle. Das Equipment wurde teilweise zwei mal die Woche mit dem Handwagen dorthin gekarrt. Schließlich fand Kwalm im Jugendzentrum an der Jahnstraße sein Domizil, das Ende August 1973 eröffnet worden war.

Das Repertoire bestand aus endlos langem Gedaddel, was man damals "improvisieren" nannte. Ein Stück mußte mindestens 20 Minuten lang sein und mindestens ein Schlagzeugsolo und ein Bass-Solo beinhalten. Meistens fing man mit einem bekannten Riff, einem Motiv oder eine Akkordfolge wie dem Blues-Schema an. Es hing dann von der Tagesform ab, wie es sich weiterentwickelte. Das war das Geheimnis, wieso in dieser Zeit Gruppen oft in wechselnden Besetzungen und völlig unvorbereitet auf die Bühne steigen konnten. Der erste Auftritt von Kwalm war auch von dieser Natur. Andreas Horstmann von der Rock Machine waren irgendwie einige Musiker abhanden gekommen und so spielte zu einem guten Teil Kwalm am 7. Juli 1973 bei einer Segelclub-Fete unter dem Namen Rock-Machine. Ein weiterer Auftritt folgte im Café Berlin in Tossens und schließlich ein bemerkenswertes Konzert im Jugendzentrum. Dazu später mehr. Als Quasi-Hausband des frühen Jugendzentrums waren Proben immer öffentlich. Andere Musikanten schauten auch ständig herein.

Die Anlage war natürlich wie damals üblich selbst gebaut. Kwalm setzte aber noch eins drauf, denn wir konnten unter anderem von Jörns älterem Bruder Rolf, einem begnadeten Elektroniker, profitieren. Er hatte eine gewaltige Stereo-Röhrenendstufe nebst den dazugehörigen Boxen gebaut. Der Verstärker konnte nur von zwei Leuten geschleppt werden. Aber auch Jörn, Per und ich waren des Lötens mächtig. Aus einer alten Eichentischplatte wurde beispielsweise eine weitere Box gebaut, die mit neun (!) ovalen Radiolautsprechern aus einem Industrie-Restposten bestückt war. Jörns alte Gitarre war mit einem UKW-Sender bestückt, so daß die Saitenkünste jenseits des NDR II bei 100 MHz bis nach Großensiel zu vernehmen waren. Elektronische Bongos gehörten auch zur Ausstattung. Ich steuerte ein Mischpult (natürlich Eigenkonstruktion) bei. Kwalm hatte also so etwas wie eine PA zur Verfügung, während bei den allermeisten Gruppen noch die Marshall-Türme und eben eine Gesangsanlage (die meist unerreichbare) Wunschanlage war.

Für einen Auftritt im Jugendzentrum stellte Rolf Eisenhauer ein Quadrophonie-Mischpult zur Verfügung, das er im Rahmen seines Studiums gebaut hatte. Quadraphonie war in den frühen 70er Jahren ein angesagtes Thema. Die Zuschauerkulisse im JZ war eher mäßig, dafür wanderten aber die Töne im Raum. Alle Ecken waren mit Boxen bestückt. So etwas machte damals nur Pink Floyd und so war danach auch von einigen zu vernehmen, daß Kwalm wie Pink Floyd spielen würde. Damals gab ich auch mein erstes und bisher einziges Autogramm. Vielleicht lag diese Assoziation mit Pink Floyd aber auch an dem Echogerät, einem modifizierten uralten Tonbandgerät.
Kleiner Gag am Rande: Jörn bekam die abgelegten Saiten von Hellmut Hattler (Kraan, Fehlfarben, Tab Two) zugesandt. Ich bin mir nicht sicher, wie dieser Kontakt zustande kam. Ich glaube, irgendwann erschien eine Anzeige in "Riebes Fachblatt", der ersten Musiker-Zeitschrift in Deutschland. Da gab es übrigens tolle Tipps. So sollte ein über die Mikrofonkapsel gezogenes Kondom den Gesang enorm verbessern.

Irgendwann löste sich die Gruppe Kwalm in Wohlgefallen auf. Ich kann nicht sagen, wann dieser Zeitpunkt war, vermutlich gegen Ende 1975, als die Abiturvorbereitungen für einige losgingen.


Der Übungsraum von Kwalm in Heizungskeller des Jugendzentrums. Es stank im Winter nach Gas und nach verwesenden Mäusen. Wir wurden öfter darauf hingewiesen, daß sich dort niemand aufhalten dürfe.

Die Bastelbude in der Hafenstraße 18. Hier wurde allerlei Musikelektronik konstruiert.
In jener Zeit war es wichtig, die richtige Gitarrenmarke zu spielen. Dieses Exemplar mit individuell zugesägtem Korpus war wohl kaum eine Fender. Jörn spielte damals einen Framus-Halbakustik-Bass, Joachim ein edles Sonor-Schlagzeug in einer schrillen 70er Jahre Farbgebung. Ich hatte eine Ibanez Les Paul, was mir fast ein wenig peinlich war. Fernost war noch nicht angesagt. An die weiteren Instrumente kann ich mich nicht mehr erinnern.